30.5.23

Der verfluchte Staubsauger

Ein Gastbeitrag von Bettina Schmidt

Wie jedes Wochenende nahm sich Luise der ungeliebten Aufgabe an, ihre kleine feine Wohnung in Schuss zu bringen, obwohl es mangels anstehenden Besuchs eigentlich keine Notwendigkeit dazu gab. Bevor sie sich anschließend mit dem guten Gefühl, etwas Sinnvolles - naja, oder wenigstens etwas nicht Unsinniges - getan zu haben, zu einem entspannten und wohlverdienten Samstags-Schaumbad in die zuvor frisch geputzte Wanne niederlassen könnte, um diese mit neuem Dreck einzuweihen, der bei der ganzen Putzaktion wie ein klebriger Film an ihrem verschwitzten Körper haften würde. Sie wuselte also Putzlappen schwingend und ein fröhliches Liedchen auf den Lippen pfeifend, das sie von jedweden ungewollten Gedanken über den Wert ihrer Aufgabe ablenken sollte. Mit dem Rüssel vom Staubsauger in den Händen, brauste sie durch ihre Räumlichkeiten und ignorierte über das stete Summen des Geräts hinweg die erbosten Rufe ihrer Nachbarn. Es war schließlich nicht ihre Schuld, dass die Wände hier so dünn waren. Aber plötzlich vernahm sie ein noch tieferes Brummen, welches ihr ein Prickeln auf der Kopfhaut bescherte.

Einen Fuß ließ sie suchend über den Torso des Staubsaugers wandern, um den dicken Knopf zum Abstellen des gleichen zu erfühlen. Die Vibrationen des Geräts fuhren dabei über die nackte Fußsohle das ausgestreckte Bein hinauf bis zu ihren Fingerspitzen und verursachten ihr eine angenehm warme Gänsehaut. Ein sehr widersprüchliches Gefühl. Für einen Moment unterbrach sie ihre Arbeit, auch wenn dadurch die Gefahr bestand, dass sie aus ihren putzbedingten Endorphinen gerissen werden würde und sie bis zum nächsten Wochenende womöglich nicht erneut die nötige Motivation für das ganze Prozedere finden konnte. Aber die tiefen Bässe verstummten zusammen mit den sonoren Staubsauger-Geräuschen und zurück blieben bloß die nun deutlicher zu vernehmenden Proteste der ungeliebten Nebenmieter. Achselzuckend schaltete sie ihn nach wenigen Augenblicken wieder ein und nahm ihre Tätigkeit von vorher auf, bevor der Rausch gänzlich verflog. Bis sie nur wenige Zeit später noch einmal dieses wohlige Kribbeln spürte und ein Vibrieren tief in ihren Geist fuhr. Beinah war es wie eine innere Massage. In der Bewegung verharrend flüsterte Luise zu sich selbst: "Was ist das?" Und bei der überraschenden Gegenreaktion zuckte sie so intensiv zusammen, dass ihr der Saugrüssel vor Schreck herunter fiel. Aber da waren eindeutig ein paar Laute zu dem Brummen hinzugekommen und sie hatte die Worte vernehmen können: "Nicht was, sondern wer!" Wie von der Tarantel gestochen, sprang Luise die eineinhalb Meter bis hinter ihre Couch und starrte von ihrem halbwegs sicheren Versteck aus auf den in der Mitte des Wohnzimmers liegen gebliebenen Staubsauger, wie er fröhlich unvermindert vor sich hin arbeitete. Sie konnte ihre eiskalten Lippen zu ein paar schwach geflüsterten Worten überreden: "Wer bist du?" Von Geisterhand geführt, richtete sich der lange Schlauch vor ihren weit aufgerissenen Augen auf. Doch als das Haushaltsgerät auch noch Anstalten machte, sich von alleine in Luises Richtung zu bewegen, griff diese in einem Überlebensinstinkt nach dem Schwanz des Ungeheuers und riss den Stecker aus der Buchse neben sich. Eine kurze Ewigkeit starrte sie wie gebannt auf den Staubsauger und wartete darauf, dass dieser wegen mangelnder Stromzufuhr endlich den Geist aufgeben und dieser aus ihm heraus fahren würde. Wenn das möglich war, so klang sein Brummen jetzt stattdessen einfach nur verärgert und tiefe Worte halten erneut in ihrem Kopf wider: "Ich bin ein verzauberter Prinz." Bei dem ganzen Putzen musste sich Luise eine Vergiftung durch die chemischen Dämpfe der Putzmittel zugezogen oder vielleicht den Schädel ein wenig zu stark an den Schränken gestoßen haben. Schließlich glaubte sie tatsächlich, dass ein Prinz in Gestalt ihres Staubsaugers vor ihr auf dem Fußboden stand - oder saß; das ließ sich schlecht unterscheiden. Doch trotz all der rationalen Argumente, die das Ganze ad absurdum geführt hätten, siegte eine irrationale Hoffnung in Luises kreiselförmigen Gedanken. "Und was willst du von mir?" Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie irgendwann einmal etwas Unanständiges in Gegenwart ihres Haushaltsgerätes getan hatte, wofür sie sich jetzt schämen müsste. Doch da fiel ihr ein, dass sich Selbiges noch gar nicht all zu lange in ihrem Besitz befand. Erst vor ein paar Tagen hatte sie in einem Second-Hand-Geschäft den Glücksgriff ihres Lebens getätigt und das Hightech-Gerät für einen Spottpreis bekommen. Immerhin konnte es anscheinend über Solar- oder Luft-Energie oder was auch immer laufen und sie würde damit ihre Stromrechnung schonen. Im Nachhinein betrachtet, kamen ihr die Umstände aber doch recht sonderbar vor. Sie hatte die Dekoration aus Spinnweben und Fledermäusen im Laden, sowie das Hexenkostüm der Verkäuferin samt Warze und schwarzer Katze auf der Schulter für eine vergessene Halloween-Kostümierung gehalten. Zugegeben, der Sommer stand bereits kurz bevor und da hätte ein schlaueres Köpfchen als ihres wohl etwas beunruhigter sein sollen. Auch jetzt konnte ihre Naivität leicht mit Mut verwechselt werden, als Luise ihre Deckung verließ und sich vor dem angeblichen Prinzen stellte. "Nur du kannst mich von dem Fluch erlösen." Das waren doch genau die Worte, die jedes Mädchen wenigstens einmal im Leben zu hören bekommen wollte. Und Luise wähnte sich bereits im siebten Himmel mit einem wunderschön reichen Prinzen an ihrer Seite - wobei sein Aussehen eher nebensächlich erschien. Schließlich war sie nicht oberflächlich, nein! "Wie kann ich Euch behilflich sein?" Sich an ihre gute Erziehung erinnernd, oder zumindest mit den Disneyfilmen ihrer Kindheit im Hinterkopf, versuchte Luise sich an einem eleganten Hofknicks. Der Staubsauger, noch immer durch das stetige Rauschen seines Gebläses begleitet, legte den Kopf schief und betrachtete die holde Maid mit seinen nicht vorhandenen Augen ... wohlwollend? abschätzend? belächelnd? Es war verdammt schwer die Miene einer Maschine zu lesen. "Bitte! Es bedarf nur eines einzigen Kusses der wahren Liebe." Soso... Eine gewisse Zuneigung für ihren Besitz empfand Luise durchaus und sie bemühte sich auch, selbigen stets in gutem Zustand zu belassen. Aber konnte man da bereits von Liebe sprechen? Allerdings beglückte sie die Aussicht auf ein romantisches Happy End so sehr, wie kaum etwas anderes in ihrem Leben das bisher vermocht hatte. Und die vibrierende Stimme in ihrem Kopf rieselte bei jedem Wort wie kleine Liebesperlen durch ihren Körper. Also, was soll's! Kurzentschlossen kniete Luise in einer ehrfürchtigen Pose auf ihrem nur halb gesaugten Teppich, befeuchtete ihre plötzlich trockenen Lippen und bereitete sich innerlich auf ein kommendes - im besten Fall erotisches - Abenteuer vor. Nur kurz fiel ihr Blick auf den unappetitlichen Schlitz, wo einzelne Haare und Staubflocken sich gesammelt hatten. Sie befreite die Borsten davon und ließ den Schmutz mit einem Fingerschnippen vom stetigen Luftstrom einsaugen. Dann atmete sie einmal tief ein und schloss die bereits vorfreudig leuchtenden Augen. Mit nie geahnter Intensität stürzte sie sich in den Kuss und drückte ihre Lippen wieder und wieder auf das Ende ihres Staubsaugers. Ein wohliges Summen verriet ihr, dass es ihm ein Genuss sein musste. Dann gab es einen plötzlichen lauten Knall und alle Geräusche verstummten auf einen Schlag. Erschrocken kippte Luise nach hinten und erblickte dicken, blauen Nebel in ihrer Wohnung, der alle Umrisse und eventuell enthaltene Prinzen verbarg. Sie kämpfte sich hustend zu der Balkontür und riss diese weit auf, damit der Qualm entfleuchen konnte. Die Nachbarn hatten endlich Ruhe gegeben und hoffentlich würde jetzt auch niemand beim Anblick der dunklen Wolke die Feuerwehr rufen. Mit einer fächelnden Handbewegung kämpfte sich Luise zurück ins Zimmer und blieb schließlich wie erstarrt in der Mitte des Raumes stehen. "Dieser verfluchte Staubsauger!" Er hatte sie belogen. Er war gar kein verwunschener Königssohn, noch nicht einmal ein gewöhnlicher Mann, der ihr irgendwie auch schon gereicht hätte angesichts des starken Gefühls der Enttäuschung. Was Luise nun zu sehen bekam, sollte ihr die Freude an ihren allwöchentlichen Putzaktionen für immer verderben. Nicht genug damit, dass sie nun eine dicke, graue Staubdecke auf ihren Möbeln hatte, die ihr reichlich zusätzliche Arbeit machte, und ihre Kleider vermutlich in den Müll gehörten, da selbst ein Schaumbad in ihnen sie nicht retten konnte. Luise sah von der Explosion des Staubbeutels reichlich zerzaust aus, ihre Haare standen ihr zu Berge, als hätte sie in eine Steckdose gefasst und anschließend die Frisur noch mit Haarspray fixiert. In ihrem Gesicht waren dicke Streifen von hartnäckigem Dreck, unter denen ihr Blick böse hervor funkelte. Und vor ihr auf dem Fußboden lag ein alter, halb verrotteter Hexenbesen.


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1 Kommentar:

  1. Anonym2.6.23

    Welch herrlicher Text! Ich habe beim Lesen sehr geschmunzelt. Danke.

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